Mehr als Ja und Amen

Glaube gehört mitten ins Leben

Glaube gehört mitten ins Leben
Foto: Steffen Roth
Jeden Tag werden wir mit schlechten Nachrichten konfrontiert: Terror, Gewalt, Krieg, Ausbeutung, Naturkatastrophen. Für Margot Käßmann steht fest: Als Christen können und dürfen wir nicht zu allen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen „Ja und Amen“ sagen. Denn Glaube gehört mitten ins Leben und nicht hinter die Kirchenmauern.

In Kirchen in aller Welt beginnt der Ostersonntags­-Gottesdienst, indem Priester, Pfarrerin oder Bischof rufen: „Christus ist auferstanden!“ Und die Gemeinde antwortet: „Er ist wahrhaftig auferstanden!“  
Manchen hierzulande kommt das inzwischen fremd vor. Aber es ist für mich mit Christinnen und Christen in aller Welt ein Ruf der Hoffnung gegen alles Leid und allen Tod. Ostern ist nicht ein Fest von Küken, Eiern, Häschen und Schokolade. Es ist ein Fest des Lebens!

Das ist mir an diesen Tagen besonders wichtig. Nach den Terroranschlägen von Brüssel, Würzburg, Berlin und Ansbach, all dem Erschrecken, der Trauer, dem Leid, ist vielen die Feierlaune gründlich vergangen. Aber Ostern in christlicher Tradition meint nicht, Leid und Tod bunt zu übermalen, sondern sich trotzig all dem Leid und auch dem Tod in den Weg zu stellen.

„Tod, wo ist dein Stachel?“, schreibt der Apostel Paulus  geradezu provozierend. Ich weiß, für Menschen, die ihre Liebsten verloren haben, für Kranke, die mit einer schweren Krebsdiagnose leben müssen, für Flüchtlinge, die frierend in einem Lager hocken, klingt das fast wie eine Verhöhnung. Ihr Leid ist sehr real. Aber gerade diese Angst nimmt Gott ernst, sagt der christliche Glaube. So ernst, dass Gott selbst nicht dem Leid ausweicht, sondern gekreuzigt wird. Und dann kommt das große Aber. Nein, der Tod hat nicht das letzte Wort! Das spürten die Menschen am ersten Ostermorgen wie auch heute. Da keimt Hoffnung. Das Leben wird nicht besiegt.

Ich glaube, dass es Leben nach dieser Welt in Gottes Zukunft geben wird, in der Gewalt und Tod ein Ende haben werden. Und ich bin überzeugt, dass wir davon hier eine Spur legen, wann immer wir Menschen in Not beistehen, andere trösten, Sterbende begleiten. Das sind kleine Formen der Auferstehung jeden Tag auf dieser Welt. „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.“ (Offb 21,4)

„Wenn ich all die Bilder sehe, fliehende Menschen, Kämpfe in der Ukraine, Morden in Syrien, dann frage ich mich, wo ist Gott?“, sagte mir eine Frau. Ich habe ihr geantwortet, dass nach meinem Verständnis Gott nicht Leid schickt: Hier einen Krieg, dort eine Krebserkrankung, hier einen Tsunami und dort den Verlust eines lieben Menschen. Nein, Gott gibt Menschen die Kraft, mit dem Leid zu leben.

Menschen, die Gott ver­trauen, haben oft erlebt, dass Gott sie durch das Leid trägt. Eine Geschichte erzählt, dass ein Mann gemeinsam mit Gott auf sein Leben zurückblickt. Es ist an den Spuren  zu sehen, wie Gott neben ihm ging. Dann  ist der Mann empört und sagt: „Siehst du, Gott, in den schwersten Tagen warst du nicht da, genau in den Zeiten bleibt meine Fußspur allein.“ Und Gott sagt: „Na eben, in den Zeiten habe ich dich getragen.“ Ein gutes Bild.

        Wenn wir nach Gott fragen,
        müssen wir auch zulassen,
        dass Gott nach uns fragt.

Und deshalb sehe ich Gott, wenn ich etwa die schreienden Kinder sehe auf der Flucht in Angst vor prügelnden Soldaten. Da ist Gott, mitten unter ihnen. Und wir begreifen nicht, dass auch Gott wohl Ohnmacht kennt.

Aber Gott fragt ja auch nach dem Menschen. Gleich am Anfang der Bibel finden wir zwei Fragen Gottes. Zuerst: „Adam, wo bist du?“(1. Mose 3,9). Und Adam versteckt sich, weil er nicht zugeben will, dass er Gottes Gebote übertreten hat. Wenig später fragt Gott: „Kain, wo ist dein Bruder Abel?“  (1. Mose 4,9) Aber Kain, der Abel gerade  aus Eifersucht erschlagen hat, antwortet: „Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?“ Kain will sich aus der Verantwortung stehlen.

Was also ist die Antwort auf die Frage nach Gott? Wir werden Gott nie ganz begreifen, aber wir können vertrauen, dass Gott Menschen, die Leid tragen, zur Seite steht. Wir können beten dafür, dass Gott ihnen Kraft und Hoffnung schenkt. Es wäre aber allzu leicht, alles Leid Gott zuzuschieben. Wenn wir nach Gott fragen, müssen wir auch zulassen, dass Gott nach uns fragt, nach unserer Verantwortung für unsere Mitmenschen.

Gleichzeitig werden wir Gott nie völlig begreifen. Was heißt das, „Gott ist Mensch geworden“? Wie kann es so viel Leid in einer von Gott geschaffenen Welt geben? Gott bleibt verborgen, er ist der deus absconditus, der verborgene Gott, sagt Martin Luther.

Ich glaube, dass es Leben nach dieser Welt
in Gottes Zukunft geben wir, in der Gewalt
und Tod ein Ende haben werden.

Wir können Gott nicht in unsere Kategorien zwingen, aber wir können Gott wahrnehmen, wenn wir uns anderen zuwenden, davon ist christlicher Glaube überzeugt. Es gibt keine vollkommene Erkenntnis Gottes, denn dann wäre Gott eine Kategorie des Menschen. „Ihr sollt den Schwachen nicht bedrücken“, heißt das biblische Schutzgebot verkürzt, und der Bibel folgend wäre der dafür entscheidende Grund: „denn er ist wie ihr“!

Wenn das Gebot ohne den begründenden Zusatz bekräftigt und proklamiert wird, verführt es förmlich dazu, die Pointe zu verfehlen! Die Schwachen laufen Gefahr, auf ihre Schwachheit festgelegt und geradezu in die passive Rolle hineingedrängt zu werden. Sie sind dann nur Objekte unserer Hilfe, ausgeschlossen von eigener Aktivität und Selbstbestimmung, während die vermeintlich Starken sich auf ihre Stärken festlegen (lassen).

So werden die Schwachen zu einem Objekt von Sorge und Fürsorge. Damit würde, der Sache und dem Gebot völlig unangemessen, ein „Wir“ konstituiert, zu dem die Schwachen nicht mehr dazugehö­ren. So entsteht Exklusion! Diakonie aber sieht im hilfsbedürftigen Menschen den Nächsten, sieht den anderen auf Augenhöhe.

Mich hat das beim Besuch des „Fairkauf“­-Kaufhauses in Hannover sehr beeindruckt. Das Konzept sieht vor, dass Menschen, die Überfluss haben, ihre Kleidung, Bücher, Geschirr, Möbel dorthin bringen können. Die Sachen werden dann für einen geringen Preis verkauft. Aber sie werden verkauft, nicht erbettelt. Der Kunde kann sich etwas leisten, hat eine eigene Würde. Und es ist kein Armenkaufhaus, denn es mischen sich zum Teil auch viele Nichtbedürftige darunter, die hier manches Großartige finden oder auch die Atmosphäre mögen, die in keiner Weise irgendwie „schmuddelig“ ist.

Zudem wurden 21 Arbeitsplätze für Menschen geschaffen, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben und die sich nun wiederum mit Ehrenamtlichen mischen, die ihre Lebenserfahrung ein­bringen. Das ist großartig, finde ich – die Schwachen werden nicht bedrückt, sondern in einem Miteinander, in dem Menschen einander auf Augenhöhe begegnen, als Gegenüber ernst genommen.

Gekürzter Auszug aus dem Buch Mehr als Ja und Amen von Margot Käßmann


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