Mit Anselm Grün unterwegs in den Bergen

Von Gipfeln und Tälern des Lebens

Von Gipfeln und Tälern des Lebens
Foto: Tobias Kreissl
Seit Jahrzehnten verbringt Pater Anselm seine Urlaube meist im Kreise seiner Geschwister in den Bergen. In seinem neuen Buch spricht er über diese bislang weitgehend unbekannte Seite seines Lebens und eine Leidenschaft, die er mit vielen teilt: das Wandern. Eine Wanderung wird für ihn dabei zum Gleichnis für unseren Lebensweg.

Jeder neue Weg ist auch ein Wagnis. In jedem Urlaub gehe ich mit meinen Geschwistern solche neuen Wege. Es ist vielleicht manchmal einfacher, den vertrauten Weg nochmals zu gehen. Aber eigentlich ist es interessanter, immer Neues auszuprobieren. Natürlich lesen wir im Vorfeld erst einmal die Beschreibung der Tour, die wir uns ausgesucht haben, und versuchen uns vorzustellen, wie dieser Weg wohl sein wird.



Aber die Beschreibung nimmt uns nicht das Wagnis ab, auf das wir uns einlassen: Denn unterwegs sieht es dann oft anders aus, als wir es uns vorher ausgemalt haben. Der Anstieg ist steiler als gedacht und auf der Karte erkennbar, Trittstufen sind ausgewaschen, Geländer gebrochen, Wege durch einen Erdrutsch versperrt. Und manchmal spüren wir auch in uns selbst Hindernisse – vielleicht sollten wir doch lieber den altbewährten Weg gehen?



Doch dann siegt oft die Lust am Wagnis. Es ist schön, sich auf einer Wanderung eine neue Landschaft, ein neues Tal zu erobern, einen unbekannten Gipfel zu erklimmen und neue Wege zu gehen. Sie erweitern den Horizont und ermöglichen uns immer wieder neue Erfahrungen und Erlebnisse. Das deutsche Wort „Wagnis“ kommt vom Verb „etwas wagen“. Das meint ursprünglich: Ich lege etwas auf die Waage, ohne zu wissen, wie sie ausschlägt.



Ich riskiere etwas, dessen Ausgang ich nicht kenne. Risiko ist immer mit Gefahr verbunden. Das sagt schon das französische Wort risque (= Gefahr; risquer = in Gefahr bringen, aufs Spiel setzen). Wenn ich etwas wage, gehe ich das Risiko einer Gefahr ein. Es kann auch schiefgehen. Daher ist es gut, das Risiko vorher abzuschätzen. Ich soll wagemutig sein, aber nicht tollkühn. Das Wort „tollkühn“ zeigt schon, dass da einer seinen Wagemut mit innerer Tollheit, Verrücktheit verbindet. Und das tut uns nicht gut.

Ich bin immer auf dem Weg zu Gott. Dieser Weg ist ein Aufstieg der Seele zu ihm. Doch auch das Hinabsteigen in die Tiefen meiner Seele und in das Tal des Alltags gehört zu meinem spirituellen Weg.



Das Leben zu wagen fällt heute vielen Menschen schwer, gerade jüngeren. Sie wollen sich lieber absichern, anstatt einfach einen Weg auszuprobieren. Sie überlegen lange, ob sie eine Stelle in einem Unternehmen annehmen sollen, ob sie damit vielleicht am Ende überfordert sind oder viele ihrer liebgewonnenen Gewohnheiten lassen müssen. Doch vor lauter Absicherung kommen sie nicht in die Gänge. Sie wagen das Leben nicht.


Ich erlebe in der Begleitung immer wieder Menschen, die Hilfe suchen, um ihr Leben zu bewältigen. Zugleich haben sie Angst, etwas Neues zu wagen. Wenn ich sie frage, was ihnen helfen könnte, wissen sie keine Antwort. Wenn ich selbst etwas Neues vorschlage, schrecken sie zurück: Bei mir geht das nicht! Davor habe ich Angst. Das traue ich mir nicht zu. Doch ohne ein Wagnis werden wir nie weiterkommen auf unserem Lebensweg.

Auszug aus dem Buch Von Gipfeln und Tälern des Lebens von Anselm Grün


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