So ein selbstloses Buch einer berühmten Persönlichkeit habe ich noch selten gelesen. Carmen Thomas muss in früheren Jahren in Deutschland eine bekannte Radio- und Fernsehmoderatorin gewesen sein – eine Pionierin für bessere Sendungen. Aus ihrem reichen Erfahrungsschatz macht sie aber kein Denkmal, das man gefälligst bewundern sollte. Sie schildert Gelungenes, und aus gescheiterten Experimenten macht sie kein Lazarett, damit man ihr wieder auf die Beine hilft. Ohne Hemmungen schildert sie originelle Erlebnisse, aber auch gravierende Fehler und was sie daraus gelernt hat. Sie will bewusst denen Impulse verleihen, die noch nicht aufgegeben haben, an sich zu arbeiten. Das macht dieses Buch sympathisch.
Den Titel finde ich eher problematisch, wenige anziehend für den super Inhalt. Die Verfasserin ist sich dieses Problems bewusst, widmet sie doch der Definition von "Reaktanz" ein ganzes Kapitel. Gemeint ist mit diesem Fremdwort eine meist unbewusste Reaktion auf Neues, Unbekanntes, die mich blockiert und eine vernünftige Auseinandersetzung verunmöglicht. Man muss das Buch schon zur Hand nehmen, um den wertvollen Inhalt zu entdecken. Wer nur von Titel zu Titel hastet und nach spannender Lektüre Ausschau hält, wird vom Titel nicht angezogen werden – höchstens vom originellen Bild auf der Titelseite. "Reaktanz" will dem Leser typische Abwehrreaktionen bewusst machen. Durch kleine, aber wichtige Veränderungen kann man Blindwiderstände abbauen und heikle Sitzungen und Gruppengespräche entkrampfen. Beim Lesen merkt man sehr schnell, was für eine geballte Ladung an Fachwissen in diesem unscheinbaren Buch verpackt ist. Carmen Thomas will keine blosse Theorie vermitteln, sie hat ihre Tipps tausendfach selber erprobt.
Sehr hilfreich finde ich die Unterscheidung zwischen Feedback und Kritik. Ein kluger Referent schätzt es, wenn seine Leistung beurteilt wird, hofft aber insgeheim immer auch auf irgendeine Bestätigung. "Die eigene Wirkung liegt für jeden Menschen in einem toten Winkel. Mit unserer Selbsteinschätzung liegen wir oft daneben", schreibt sie. Carmen Thomas empfiehlt deshalb, eine Rückmeldungskultur aufzubauen, die es erlaubt, Fehler als Lernchancen zu begrüssen.
Beim Studium des Buches (ich habe es richtig durchgearbeitet und viel für mich notiert) ertappte ich auch bei mir eine Art Reaktanz. "Diese Methode hat bei einer so begabten Frau wunderbar funktioniert, bei mir würde das sicher nicht klappen!" Richtig: Die Verfasserin hatte über Jahre unzählige Gelegenheiten zu experimentieren und ist mit diesen Erfahrungen gross geworden. Aber warum nicht einfach mal ausprobieren, was zu mir passt und dann auf meine eigene Schuhgrösse anpassen? Das Buch macht Mut dazu. Zum Schluss schreibt sie sogar ausdrücklich, dass man sie ruhig kopieren soll – bis man in der Lage ist, aus dem Gelernten den eigenen Stil zu entwickeln.