Ein erfahrener Seelsorger wagt es, 60 Jahre nach Kurt Kochs berühmtem Handbuch "Seelsorge und Okkultismus", in die Grauzone zwischen Dämonologie, Theologie und Psychologie einzutauchen. In diesen über 60 Jahren ist viel geschehen. Vor allem betrachten sich Seelsorger und Psychologen nicht mehr als Konkurrenten. Man hat sich schätzen gelernt und akzeptiert, dass es unterschiedliche Zugangswege gibt, um schwierige Krankheitsbilder anzugehen und Hilfe zu vermitteln. Der Verfasser selbst beschreibt sich als Pastor und Psychologe, der "die tiefen geistlichen und lebensverändernden Wahrheiten der Bibel ebenso schätzt wie psychologisches Fachwissen".
Angenehm, ja zum Teil überraschend ist sein nüchterner, unspektakulärer Stil. Er vermeidet Wertungen und Verurteilungen anderer Ansichten. Er ist "seit über 20 Jahren begeistert von der Arbeit mit Menschen", weiss aber auch um die Grenzen der Psychologie und der Seelsorge. Er selber unterscheidet bei seinen Diagnosen strikt zwischen körperlichen, psychischen und geistlichen Ursachen und findet es sogar gefährlich, wenn man Grenzen überschreitet. Wer zum Beispiel Epilepsie mit dämonischer Besessenheit gleichsetzt, tut dem hilfesuchenden Patienten vielleicht Unrecht. Schizophrenie muss als Krankheit behandelt werden und nicht als Seelsorgefall. Wenn man bei einem Ratsuchenden den Eindruck einer psychischen Störung hat, muss man anders verfahren als bei einer Dämonisierung.
In einem ersten fachlich-wissenschaftlichen Hauptteil beschreibt Großklaus neue therapeutische Werkzeuge bei psychischen Störungen. Er zeigt auf, welche Fortschritte in den letzten Jahren auch im Bereich der Psychologie und Psychiatrie erzielt worden sind. Für Nicht-Fachleute ist dieser theoretische Teil sehr anspruchsvoll. Dafür kommen Theologen im zweiten Teil des Buches voll auf die Rechnung. Hier geht der Verfasser vor allem dem Phänomen der "Besessenheit" auf die Spur. Es ist ein Thema, das sowohl in der Bibel als auch in der Kirchengeschichte eine grosse Rolle gespielt hat. So wird Exorzismus bis heute in der römisch-katholischen Kirche nach einem klar vorgegebenen Ritual praktiziert. In der evangelischen Kirche wurde und wird bis heute Besessenheit ganz unterschiedlich beurteilt, von Aberglauben über "Fremdokkupation" bis hin zu praktiziertem Exorzismus ist alles vorhanden. Der Verfasser selber macht in seiner Praxis einen Unterschied zwischen Besessenheit und Dämonisierung und nennt dabei einige klare Unterscheidungsmerkmale. "Besessenheit ist kein medizinischer, sondern ein religiöser Begriff."
Sehr hilfreich finde ich die verschiedenen Beispiele aus seiner Praxis als Seelsorger und Psychologe. Gerade hier ist seine nüchterne Art sehr hilfreich. Aus dem Schluss des Markusevangeliums liest er klar auch den Auftrag, Dämonen auszutreiben, warnt aber auch davor, dem Teufel zu viel Beachtung zu schenken. "Mein Verkündigungsdienst betont nie den Durcheinanderbringer, sondern den Auferstandenen."
Alles in allem ein hilfreiches Buch, kompakt formuliert, nicht ausschweifend, aber klar und eindeutig.