Lukas 6, 36
Wissen Sie, wo Dreißigacker liegt? Macht nichts, ich hätte es auch nicht gewusst. Dreißigacker ist eine Ortschaft in Thüringen und liegt gut fünf Kilometer von der Grenze zu Bayern entfernt. Dreißigacker hat eine schöne Besonderheit, auf die ich jüngst gestoßen bin: Inmitten des knapp 1.400-Einwohner Dörfchens steht eine Evangelische Kirche mit dem Namen „Zur Barmherzigkeit Gottes.“ Nun wäre das an sich noch keine Besonderheit. Aber es ist offensichtlich die einzige Kirche in Deutschland, die diese Eigenschaft Gottes im Namen trägt.
Sie ragt heraus aus dem Meer der vielen Gotteshäuser, die nach einem der Evangelisten oder einer anderen Person der Bibel benannt sind. Was mag die Christen damals zu dieser Namensgebung bewogen haben? War es die Dankbarkeit dafür, dass bereits acht Jahre nach dem Dreißigjährigen Krieg die einer Brandschatzung zum Opfer gefallene Sühnekirche neu aufgebaut werden konnte? Wie auch immer. Die Namensgeber hatten bestimmt einen triftigen Grund dafür.
Barmherzigkeit ist eine von 29 in der Bibel beschriebenen Eigenschaften Gottes. In unserem gewöhnlichen Sprachgebrauch taucht das Wort selten auf, es beschreibt aber eine Eigenschaft des menschlichen Charakters. Und diese Eigenschaft findet ihren Ausdruck im Umgang mit anderen Menschen. Das ist auch die inhaltliche Einbettung der diesjährigen Jahreslosung im Lukasevangelium, in dem es später auch um das Bild vom Splitter im Auge meines Nächsten und dem Balken im eigenen Auge geht.
Barmherzigkeit wird heute so verstanden, wie es Wikipedia beschreibt: Eine barmherzige Person öffnet ihr Herz fremder Not und nimmt sich ihrer mildtätig an. Seit im Jahr 2015 viele Menschen aus dem Mittelmeerraum auf der Flucht vor Kriegen und desolaten wirtschaftlichen Verhältnissen ihren Weg zu uns gefunden haben, wird darüber gestritten, wie hoch die Anzahl der Menschen sein kann, die wir aufnehmen können. Solche gesellschaftlichen Diskussionen sind wichtig und richtig. Allerdings geht es dabei schnell um Fragen der wirtschaftlichen Verkraftbarkeit und danach, wie belastbar unsere Gesellschaft dafür ist.
Gegen Ende und in den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg kamen 12 Millionen Flüchtlinge aus den östlichen Gebieten des früheren Deutschen Reiches in die heutige Bundesrepublik. Auch sie erlebten vielerorts wenig Willkommenskultur, obwohl der Aufwand für eine gelingende kulturelle Integration weitaus geringer war. Damals plagten sich eben alle Menschen in Deutschland mit sehr existentiellen Fragen. Wir Menschen sind Gott nicht gleichgültig. Er öffnet sein Herz für uns und nimmt sich unserer Not an. Für mich ist die Jahreslosung 2021 eine Ermutigung, mein Herz vermehrt für die Not anderer Menschen zu öffnen. Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Neues Jahr 2021!