Autoren-Interview

Elisabeth Büchle

Der Roman „Himmel über fremden Land“ ist der Beginn einer spannenden Trilogie, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielt. Im Interview hat uns Elisabeth Büchle verraten, welche interessanten Entdeckungen sie bei der Recherche gemacht hat. Und ob sie gerne einmal in diese Zeit gereist wäre ...

Elisabeth Büchle
Elisabeth Büchle
Frau Büchle, „Himmel über fremdem Land“ ist der Beginn einer großen, dreiteiligen Familiensaga rund um die Zeit des ersten Weltkriegs. Die Geschichte spielt an unterschiedlichen Schauplätzen: Deutschland, Russland und in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Wie viel Zeit haben Sie für die Recherche benötigt – und wie viel Zeit zum eigentlichen Schreiben?

Das ist eine knifflige Frage, die schwer zu beantworten ist. Ich versuche es, gehe aber von allen drei Bänden aus, nicht nur vom jetzt erschienen Teil eins, da sich die Recherche ja auf die gesamte Trilogie bezog. Meine intensiven Anfangsrecherchen zogen sich etwa über ein halbes Jahr, 2011 begann ich dann mit dem Schreiben. Auch während des Schreibprozesses, der sich bis Ende 2012 hinzog, war ich fortwährend am weiter- und nachrecherchieren. Zwar hatte ich im Vorfeld die historischen Fakten herausgesucht, doch je nach Szene gab es immer wieder Neues nachzulesen.

Als Beispiel nenne ich eine kleine Episode: ich saß an einem der letzten Überarbeitungsschritte für Teil zwei, als mir etwas auffiel: Ein Pärchen „fällt“ dort in die Spree und wird von der Strömung abgetrieben. Allerdings hatte ich bis dahin nie nachgeschaut, wie die Strömung verläuft. Womöglich habe ich die beiden in eine falsche Richtung abtreiben lassen!?

So gab es geraume Kleinigkeiten, die überprüft werden mussten. (Wussten Sie, dass es 1902 die erste elektrische Schreibmaschine gab? Oder wann die blauen 100-Reichsmark-Scheine gedruckt wurden? Wie sich der Schulunterricht zwischen einer Landschule und einer Schule in Berlin unterschied? Wie die Kindererziehung zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehandhabt wurde ...?) Aus diesem Grund lässt sich der eigentliche Schreibprozess kaum von der Recherchezeit trennen. Aber ich empfinde Recherche als extrem spannend, obwohl sie anstrengend ist und viel Zeit fordert. Ich hoffe, dass es mir gelingt, die Leser mit meinen Büchern in eine andere „Zeit und Welt“ zu versetzen.
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Was waren für Sie die interessantesten Entdeckungen, als sie sich intensiv mit der deutschen Geschichte befasst haben? Haben Sie neue Dinge gelernt?

Ja, ich habe viel gelernt (und einiges schon wieder vergessen)! Lustiges, Trauriges, Schönes, Erschreckendes, Faszinierendes und Langweiliges! (Letzteres habe ich dann nicht in die Romane übernommen!) Fasziniert hat mich im Rahmen meiner Recherche rund um die Frauenrechtsbewegung, dass uns manche Diskussionen heute wieder einholen. Hier sei nur das Thema „Betreuungseinrichtungen für Kinder“ genannt. Es gab damals auch inspirierende Persönlichkeiten. In Teil zwei und Teil drei werden die Leser Anthony Fokker kennen lernen und ich kann Ihnen versichern: Es lohnt sich! Bei Rasputin, der in Teil zwei noch ein paar große Auftritte bekommt, überkam mich beim Schreiben jedes Mal eine Gänsehaut ...

Der erste Band hat stolze 464 Seiten, zwei weitere Bücher folgen. Wie behalten Sie beim Schreiben den Überblick?

Beim Schreiben eines Romans führe ich viele Listen. Darunter ein Personenverzeichnis, eines über die Handlungsorte und über historische Fakten (wo finde ich welche Information aus der Recherche wieder). Dazu verfasse ich Listen über die Handlungsstränge, ihre Verzweigungen und Verknüpfungen, die dann am Ende alles sinnvoll zusammenführen und auflösen. Spannend beim Schreiben der Trilogie war, einzelne angerissene Handlungsstränge in Band zwei und Band drei hinüberzutransportieren. Hinzu kamen dieses Mal Listen über die historischen Personen und über die von mir genutzten Schreibweisen, vor allem bei den russischen Namen und Begriffen. Für sie gibt es oft zwei oder mehr Varianten. Ein Beispiel: der Fluss Newa oder eben Neva.

Hatten Sie reale Vorbilder für einige der Figuren oder sind alle Personen frei erfunden?

Die Personen, um die sich das Hauptgeschehen dreht, sind frei erfunden, wobei da vermutlich auch Menschen aus meinem privaten Umfeld „Paten“ sind - ohne dass ich das bewusst so handhaben würde. Ein paar historische Personen habe ich oben schon genannt, viele weitere tauchen im Laufe der Trilogie auf und nehmen mal mehr mal weniger Raum ein. In Himmel über fremdem Land gehören dazu Walther Rathenau, Aufsichtsratsvorsitzender der AEG und später Reichsaußenminister, Minna Cauer und Hedwig Dohm, zwei Frauenrechtlerinnen dieser Zeit, Ludwig von Estorff, Kommandeur der Deutschen Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika und auch Anna Alexandrowna Wyrubowa, eine Hofdame und enge Vertraute der russischen Kaiserin ...



Neben der spannenden, historischen Handlung gibt es auch die eine oder andere Liebesgeschichte. Und das geht nicht ohne Romantik und Tragik. Wie fühlt es sich an, eine liebgewonnene Figur im Lauf der Geschichte sterben zu lassen?

Nicht gut! Es ist ein kleiner Verlust, immerhin begleiten einen die Personen über Wochen und Monate hinweg. Als Autorin gebe ich ihnen eine Seele und ihren Charakter und lege ihnen Worte in den Mund. Dennoch sollte man das nicht überbewerten. Bis jetzt schaffe ich es noch, Realität und Romangeschehen auseinanderzuhalten. (Zumindest meistens!) Es gibt Figuren, die werden von mir nur ins Leben gerufen, um sie im Lauf der Geschichte sterben zu lassen. Ihren Tod empfinde ich nicht so dramatisch. Anders sieht es aus, wenn, was häufig passiert, die Romanfiguren und die Handlung eine Art Eigenleben entwickeln und aus diesem heraus jemand sterben „muss“ (so zum Beispiel in Teil drei). Da überlege ich lange hin und her, ob ich das wirklich will, und atme tief durch, wenn es dann tatsächlich so weit ist.

Wären Sie gerne einmal in diese Zeit gereist?

Ja und nein. Ja, weil es mir gefallen würde, einmal all die Dinge zu sehen, über die ich geschrieben habe, diese ganz speziellen Kleider zu tragen, in einem der ersten Autos zu fahren, die „Langsamkeit“ des Lebens zu Beginn des 20. Jahrhunderts auszuprobieren und vor allem auch, der Stille der damaligen Zeit zu lauschen. Keine Flugzeuge, nur wenig Zugverkehr, kaum Autos (außer in Berlin natürlich) kein Handyklingeln ... Andererseits sind Kriegszeiten schrecklich. Wer möchte sich schon in diese Zeit hineinversetzen lassen. Tod, Leid, Hass, Hunger, Krankheiten ... Zudem bin ich ein Mensch, der den Fortschritt und die heutigen Bequemlichkeiten wahrnimmt und froh über diese ist. Wenn ich da an die schwarze Adler-Schreibmaschine denke, auf der ich noch das Tippen gelernt habe! Da ist so eine leichtgängige Computertastatur ein Hochgenuss - ganz abgesehen von der einfachen Lösch- oder Korrekturmöglichkeit!

© Gerth Medien GmbH 2013

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