Autoren-Interview

Thomas Franke über seinen neuen Roman „Das Tagebuch“

Der Archäologe Leon Weber macht bei Ausgrabungen eine erstaundliche Entdeckung: Er findet das Tagebuch einer Adeligen aus der Zeit der Französichen Revolution. Eine atemberaubende Geschichte mit zwei Menschen aus verschiedenen Zeitaltern beginnt. Lesen Sie hier mehr über die Entstehungsgeschichte des Buches.

Thomas Franke über seinen neuen Roman „Das Tagebuch“
Thomas Franke
Herr Franke, „Das Tagebuch“ ist ein Roman von 544 Seiten. Lieben Sie dicke Bücher?

Das hängt vom Buch ab. Aber grundsätzlich ist da schon etwas dran. Es fasziniert mich, wenn ein Geheimnis immer reichere Facetten bekommt und schrittweise gelüftet wird. Außerdem ist mir Authentizität sehr wichtig, auch bei einem Roman. Da ist es notwendig, dass man bestimmte Figuren eine Zeitlang begleitet, damit man ihnen ihre Entwicklung auch abnimmt. Sonst wird es unglaubwürdig. Das Tagebuch hat zwei Protagonisten, die in zwei gänzlich verschiedenen Zeitaltern zuhause sind. Da waren ein paar mehr Seiten notwendig.

Ihr Vorgängerroman „Das Haus der Geschichten“, war eine „fantastische“ Erzählung. Welche Fantasy-Elemente haben Sie in Ihrem neuen Roman eingebaut?

Fantasy-Elemente im klassischen Sinne sind eigentlich nicht enthalten. Aber ich habe mich von der Faszination des Themas Zeit ein wenig treiben lassen. Das Tagebuch spielt mit dem Gedanken, dass Zeit zugleich mehr und weniger ist, als wir ahnen, und dass die Trennung zwischen den Jahrhunderten, in seltenen Momenten und an bestimmten Orten, so hauchdünn sein kann wie die Seiten eines Buches.

Eine der Hauptfiguren ist Leon, ein junger Archäologieprofessor, der in Frankreich mit einem Team nach Hinweisen auf König Artus sucht. Was treibt Leon an?

Leon ist ein leidenschaftlicher Historiker und Archäologe, vielleicht auch, weil er sich in seiner Welt und in seiner Zeit nicht vollkommen zuhause fühlt. Mit aller Macht arbeitet er an seinem wissenschaftlichen Erfolg. Erst als alles zu scheitern droht, wagt er einen Blick in sein Inneres und erkennt die Leere in sich. Als dann das geheimnisvolle Tagebuch der Angelique in seine Hände fällt, beginnt für ihn die Suche nach der Wahrheit, die schließlich sein ganzes Leben auf den Kopf stellen wird.

Durch ein Tagebuch begegnet er Angelique, einer jungen, gottgläubigen Adligen aus der Zeit der französischen Revolution. Was fasziniert Leon so an ihr?

Angelique lebt in einer Zeit dramatischer Umwälzungen und Gefahren, aber sie verliert ihre Lebendigkeit und ihren Humor nicht. Sie erfährt Leid, ohne daran zu zerbrechen. Sie hat tiefe Zweifel, aber verzweifelt nicht. Sie muss durch furchtbare Ängste hindurch, aber sie findet zurück zum Vertrauen. Sie hat etwas, das Leon nicht hat ... und außerdem ist sie hübsch. Was bleibt Leon anderes übrig, als von ihr fasziniert zu sein?

Die Ereignisse um die Ausgrabung und die Auseinandersetzung mit Angelique im Tagebuch verunsichern Leons Weltbild. Außerdem gibt es in direkter Nachbarschaft zur Ausgrabungsstätte einen älteren Bauern, den Leon aufsucht, dem er seine Fragen stellt und mit dem er nächtelang diskutiert. Der Alte scheint mehr zu wissen, als er preisgibt. Aus welchem Grund haben Sie ihm einen Platz in der Geschichte gegeben?

Mathéo ist ein bisweilen knurriger, alter Bauer, der kein Problem mit dem Schweigen hat. Aber wenn er redet, dann sagt er, was er denkt. Er ist klug und belesen, aber das ist für ihn kein Selbstzweck. Mathéo  ist weise und ein guter Freund. Im Laufe der Zeit wird er so etwas wie Leons geistlicher Mentor. Zudem trägt er ein großes Geheimnis in sich. Aber mehr werde ich an dieser Stelle natürlich nicht verraten.

Je tiefer man in die Geschichte einsteigt, umso mehr wird man auch mit der Frage des Leides in dieser Welt konfrontiert, aber auch, wie Gott in die Geschichte eingreift und wie Menschen Gottes Führung erleben können. Was war Ihnen dabei wichtig?

In der Zeit, als ich den Roman schrieb, erlebte jemand in meinem privaten Umfeld großes Leid. Leid, das mich sprachlos gemacht hat. Diese Erfahrung hat sich zunächst eher unbewusst auch auf den Verlauf der Geschichte ausgewirkt. Mir war es wichtig, die Erfahrung der oftmals so brutalen Sinnlosigkeit des Leides nicht zu leugnen. Ich wollte das Leid nicht verharmlosen, schönreden oder in irgendeine für unsere kleinen Gehirne passende Kausalität pressen. Das würde den Menschen, die gerade durch die dunkelsten Täler ihres Lebens gehen müssen, nicht gerecht. Aber zugleich sollte hindurchblitzen, dass diese Dunkelheit nicht bleiben wird. Das Leid hat nicht das letzte Wort, auch wenn es ständig in unser Leben hinein lärmt. Das letzte Wort hat ein anderer. Zuweilen bekommen wir schon jetzt eine Ahnung davon, und das gibt Hoffnung, die auch in tiefster Dunkelheit noch Bestand haben kann.

Wer sollte das Buch lesen?

Wer Spaß daran hat, Geheimnissen auf die Spur zu kommen, wer Lust hat, Menschen zu begegnen, die zu ganz anderen Zeiten unter gänzlich anderen Umständen gelebt haben, wer sich von der schrecklichen und zugleich auch faszinierenden Zeit der französischen Revolution nicht abschrecken lässt, und wer sich der Frage nach Gott und seiner Wirklichkeit einmal von ungewohnter Seite nähern möchte, der könnte Freude an diesem Roman haben.
Nun ja, es kann natürlich auch nicht schaden, wenn man dicke Bücher mag ...

© Gerth Medien GmbH 2013

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