Margot Käßmann macht Mut, das Morgen hoffnungsvoll zu wagen

Warum wir nicht verzagen müssen

Warum wir nicht verzagen müssen
Das Leben wirft nahezu täglich neue Fragen auf: Warum muss das ausgerechnet mir passieren? Auch angesichts gesellschaftlicher Entwicklungen fragen wir uns manchmal besorgt: Wo wird das alles enden? In ihrem neuen Buch Sorge dich nicht, Seele versucht Margot Käßmann Antworten zu geben. Entstanden ist ein Ratgeber, der Mut macht, das Morgen hoffnungsvoll zu wagen, ganz egal wie kompliziert das Heute gerade ist.

Was hat Sie dazu bewogen, sich mit Sorgen und Ängsten auseinanderzusetzen?

Fast täglich erreichen mich Briefe, in denen Menschen mir gegenüber auf nachdenkliche,  eindrückliche Weise ihr Leben – unser Leben – reflektieren und mir ihre Sorgen und Nöte mitteilen. Leider kann ich nur auf wenige dieser Briefe, die ich bekomme, persönlich antworten – es sind einfach zu viele. Aus einigen Zuschriften zitiere ich in meinem Buch, selbstverständlich anonymisiert bzw. an einzelnen Stellen so verändert, dass die Verfasserin oder der Verfasser nicht erkennbar werden.

Welche Sorgen sind es, die die Menschen Ihnen anvertrauen?

Bei den einen liegt vielleicht die Ehe in Trümmern. Andere haben eine Krebsdiagnose erhalten. Der Arbeitsplatz ist gefährdet. Oder jemand ist schlicht total überfordert mit all dem, was auf ihn einstürzt, er weiß nicht mehr, wie er das alles schaffen soll: Familie, Kinder, Beruf – all die Anforderungen. Viele fragen sich in diesen Situationen: Was soll ich nur tun? Wie kann ich weiterleben mit all den Sorgen? Oder finde ich überhaupt noch Sinn in meinem Leben?

Wie gehe ich mit Leid um? Was kann ich tun, angesichts der Entfremdung von meinen Kindern? Kommt eine Scheidung infrage, wenn meine Beziehung schon seit längerer Zeit zerrüttet ist – oder bin ich an das Eheversprechen um jeden Preis gebunden? Darf ich mir das Leben nehmen, wenn ich unheilbar krank bin oder es einfach nicht mehr aushalte?

Dazu kommen die ganz großen Fragen unserer Zeit: Wie können wir dem Terrorismus entgegentreten? Kaum eine Woche vergeht, ohne dass irgendwo auf der Welt etwas Schreckliches passiert. Was wird werden, angesichts der Millionen von Flüchtlingen und der zunehmenden sozialen Spannungen in unserem Land? Ist die Zeit des Wohlstands vorbei? Wir sehen die Bilder von überfluteten Straßen und Häusern, Schlammlawinen, Menschen, die dadurch alles verloren haben.

Ist die Klimakatastrophe überhaupt noch abwendbar? Schon fragen die Ersten wieder, ob es noch verantwortbar ist, Kinder in diese Welt zu setzen. Und obwohl wir hier weitgehend abgesichert
und in Freiheit und Frieden leben dürfen und selbst die Ärmeren unter uns mehr besitzen als viele Menschen in anderen Ländern, freuen sich viele nicht an den guten Tagen, die uns geschenkt sind, sondern sorgen sich unentwegt: Es könnte schlechter werden, es könnte am Ende nicht mehr reichen, um ein angenehmes Leben zu führen. Wir könnten selbst krank werden oder geliebte Menschen verlieren. Die Erfahrung zeigt, dass letztlich die meisten unserer Befürchtungen nicht eintreffen.

Klingt das nicht ein wenig beschwichtigend?

Ich will Sorgen und Nöte keinesfalls banalisieren oder beschwichtigen. Denn das Gefühl der Perspektivlosigkeit und die damit einhergehende Verzweiflung kennt wohl jeder: Es gibt Zeiten, in denen du überhaupt nicht mehr weißt, wie es weitergehen soll. Aber wir können mit diesen Belastungen leben, wenn wir unsere Seele stärken.

Ich habe im Laufe der Jahre gelernt: Du musst nicht verzagen, wenn es mal nicht so gerade läuft wie geplant! Das Leben will gelebt und nicht einfach nur erlitten werden. Es gibt fast immer einen Weg nach vorn, auch wenn ich ihn im Moment nicht sehen kann – das sagt die Lebenserfahrung.

Sie gehen in Ihrem neuen Buch an vielen Stellen auch darauf ein, was die Bibel zum Thema „Sorgen“ zu sagen hat …

Genau. Der christliche Glaube kann uns Halt und Haltung geben, davon bin ich überzeugt. Er ist nicht altmodisch oder gestrig, sondern aktuell und Orientierung gebend. Im Matthäus  evangelium (6,25–34) wird zum Beispiel deutlich, dass Jesus sieht, wie sehr sich die Menschen sorgen, um Kleidung und Essen, um ihre Kinder, um die Zukunft.

Seine Antwort ist: Lasst euch davon nicht zerfressen. Setzt den Sorgen Gottvertrauen entgegen, dann seht ihr alles aus einer anderen Perspektive. Wer sich ständig sorgt, verpasst das Leben und erfährt nichts von der Freiheit der Kinder Gottes. Ich kann und sollte mich heute auseinandersetzen mit dem, was ansteht. Aber was in einem Monat, in einem Jahr sein wird, wer weiß das schon?

Und auch Persönliches lassen Sie immer wieder einfließen und haben das Buch Ihren Großeltern gewidmet. Warum gerade ihnen?

1945 hat meine Großmutter den Einmarsch der Sowjetarmee in Köslin erlebt. Ihr Mann wurde verschleppt, sie, ihre Tochter mit drei Kleinkindern und einige andere Frauen blieben in einem Haus zusammen und überlebten unter schrecklichen Umständen. 1946 flohen sie in den Westen. In einem Brief schreibt eine ehemalige Nachbarin am  19. Oktober 1947 an sie: „Fritz und Gerhardt (mein Großvater) sind auf dem ganzen Transport zusammen gewesen, nur in Graudenz sind sie gleich getrennt worden. Er hat ihn dann erst wieder gesehen, als er am 28. April gestorben ist. Aber auf dem Transport ist Gerhardt immer getrost und ganz vergnügt gewesen, er wollte, wenn erst wieder zu Hause, ein Buch über alles schreiben.“

Mein Großvater ist trotz schrecklicher Erfahrungen getrost geblieben und meine Großmutter sang in der Küche „Du, meine Seele, singe!“ oder „Wer nur den lieben Gott lässt walten“. Das ist mir Vorbild bis heute. Denn eine solche Grundzuversicht trägt in guten und in schweren Tagen, im Leben und im Sterben, das haben meine Großeltern vorgelebt.

Und genau das ist es auch, was mein neues Buch will: Ich möchte Mut machen, die Perspektive zu wechseln und das Leben mit anderen Augen zu betrachten. Das Sorgen, die Befürchtungen, die Ängste zerfressen am Ende nur die Lebenslust, verändern aber doch gar nichts. Es geht darum, zu genießen, was uns das Leben an schönen Momenten schenkt. Sei dankbar für das, was du erleben
darfst, für Menschen, die dich lieben, für schöne Erlebnisse, auch für den Alltag, der doch gar nicht immer nur grau ist, sondern oft so wunderbar sein kann.
 

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