Liebe Katrin, wir freuen uns, deinen neuen Roman, Das Haus am Ende der Welt, zu veröffentlichen. Du hast gesagt, dass er dich im Schreibprozess an „Grenzen“ gebracht hat. Welche Grenzen waren das?
Auf die Idee kam ich, als ich in einem finnischen Autoatlas einen Hinweis zur Sperrzone vor der russischen Grenze fand, von der ich vorher nicht gewusst hatte. Das fand ich sofort interessant. Seit ich als Kind von Berliner Eltern den Mauerfall miterlebt habe, fasziniert und bewegt mich das Thema Grenzen. Deshalb wollte ich mehr erfahren und recherchierte zur finnisch-russischen Grenze und ihrer bewegten Geschichte. Dabei entwickelte sich parallel die Geschichte.
Natürlich wollte ich den Ort, über den ich so viel gelesen hatte, dann auch mit eigenen Augen sehen. Deshalb bin ich im Juni 2023 zur Schauplatzrecherche ins finnische Südkarelien gereist. Ich habe mir das Ferienhaus gemietet, das der Grenze am nächsten lag – von meinem Bootssteg aus waren es nur 150 Meter über den Grenzsee hinweg. Das gegenüberliegende russische Ufer lag so nah, dass ich hätte hinüberschwimmen können. Doch es war streng verboten. Genauso wenig durfte ich die Sperrzone betreten, die unmittelbar neben meinem Haus begann. Das alles löste in mir die Sehnsucht aus, den „verbotenen“ Ort zu erkunden, und ich bedauerte sehr, dass es zu der Zeit keine Möglichkeit gab, ohne erheblichen Aufwand ins Nachbarland zu reisen, um auch die andere Seite des Sees kennenzulernen. Diese Umgebung passte nahezu perfekt zu meinen Vorstellungen, wie das Ganze im Roman auszusehen hatte, deshalb habe ich das Haus zum Hauptschauplatz gemacht.
Im Roman gehe ich allerdings nur am Rande auf die politisch angespannte Situation zwischen Finnland und Russland ein (die sich in den Monaten nach meinem Aufenthalt noch einmal drastisch verschärfte). Ich behandle die Grenze vor allem als symbolischen Ort, denn meine beiden Hauptfiguren Henning und seine Tochter Mai werden im Laufe der Geschichte mit ihren eigenen Begrenzungen, aber auch ihren Grenzüberschreitungen konfrontiert. Ort und Thema bilden in der Geschichte eine Symbiose, die mich sehr flüssig ins Erzählen gebracht hat.
Neben Deutschland spielt ein großer Teil der Handlung in Skandinavien. Wie bist du ausgerechnet auf Finnland gekommen?
Streng genommen ist Finnland kein skandinavisches Land, weil es sich sprachlich und kulturell sehr von seinen Nachbarn unterscheidet. In seiner Geschichte hat das Land sowohl unter schwedischer als auch unter russischer Herrschaft gestanden, hat sich seine Unabhängigkeit hart erkämpft und ist sehr stolz darauf.
Ich habe aber wirklich eine große Leidenschaft für die nordischen Länder und ihre Sprachen. An der Uni habe ich mehrere Semester lang Schwedischkurse belegt und im selben Zeitraum angefangen, mich mit der finnischen Sprache zu beschäftigen. Ich wollte unbedingt wissen, was sich hinter diesen rätselhaften Endloswörtern mit den vielen ää, öö und yy verbirgt. Mit dem Interesse für die Sprache kam dann auch die Begeisterung für das Land, über das man in Mitteleuropa kaum mehr weiß, als dass es dort Seen, Wälder und Saunas gibt. Auf mehreren Reisen habe ich Finnland als sehr angenehmes, aber auch überraschend andersartiges Land kennengelernt. Das versuche ich, im Buch immer wieder einfließen zu lassen. Ich kann nur empfehlen, selbst einmal nach Finnland zu reisen!
Sind die Protagonisten und die Handlung frei erfunden oder gibt es Bezüge zu wahren Personen oder Geschichten?
Meine Protagonisten und die Handlung sind frei erfunden, aber die ein oder andere Nebenfigur in der Geschichte ist von realen Personen inspiriert. So hat sich mein finnischer Hüttenvermieter als Randfigur in die Geschichte hineingeschlichen. Hinter diesem Kennenlernen steckt übrigens eine kleine Wundergeschichte, die ich auf meiner Webseite www.katrinfaludi.de erzähle. Was an dieser Geschichte aber echt ist, sind die Themen, auf denen sie fußt: Freiheit, Zugehörigkeit, Grenzen, Spannung und Loslassen sind Dinge, die mich in der Tiefe sehr beschäftigen und die in meinen Geschichten – wie auch in Schattenwald – immer wieder durchscheinen. Es sind diese universellen Themen, die zu den Leserinnen und Lesern sprechen und die Geschichte dadurch für sie lebendig machen.
Normalerweise kommen mir immer erst Ideen zu den Figuren, die mich dann gedanklich lange Zeit begleiten, bis sich daraus langsam eine Geschichte entwickelt. Es sind also die Figuren, die mir ihre Geschichte anbieten.
Welche Rolle spielen die Themen Schuld und Neuanfang?
Meine Hauptfigur Henning versucht seit 30 Jahren, eine schwere Schuld zu verdrängen. Er glaubt, er könne alle seine angeschlagenen Beziehungen retten, indem er seinen Fehler verheimlicht, zerstört sie aber gerade dadurch. Im Laufe der Geschichte lernt er einen Mann kennen, der ein abscheuliches Verbrechen begangen hat, das nie gesühnt wurde, und den seine Scham- und Schuldgefühle beinahe in den Suizid getrieben haben. Ausgerechnet von diesem Menschen, den er eigentlich fürchtet und verachtet, lernt Henning, was er tun muss, um seine engsten Beziehungen zu retten – und welche Rolle der Glaube, den er als Jugendlicher enttäuscht abgelegt hat, dabei spielt. Vor diesem Neuanfang stehen aber zuerst Reue und das Bekennen der eigenen Schuld.
Mit Schattenwald warst du zu vielen Lesungen eingeladen. Kann man dich auch mit dem neuen Roman zu Veranstaltungen einladen?
Auf jeden Fall! Ich freue mich über jede Anfrage und tüftele schon an einem neuen Programm, das ich am 21. März 2025 in meiner Heimatgemeinde in Bad Vilbel erstmals vorstellen werde. Anfragen kann man mich ganz einfach über info@katrinfaludi.de oder über meine Instagram- und Facebook-Accounts, auf denen ich viele lustige, chaotische, aber auch nachdenkliche Einblicke in mein Autorinnenleben gebe. Wer sich ein wenig in die Hintergründe von Das Haus am Ende der Welt einlesen möchte, findet auf meiner Webseite www.katrinfaludi.de eine Artikel-Reihe mit vielen Schauplatzbildern. Newsletter abonnieren nicht vergessen!
Vielen Dank für deine Zeit und das Gespräch!
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